Ausgewählter Beitrag

Herbst...

Ich werde dieses Blog nicht weiterführen können, als wäre nichts gewesen. Ich muss diesen Beitrag hier schreiben. Es ist ein innerer Zwang. Also sitze ich nun hier, habe meine große Kaffeetasse zum dritten Mal nachgefüllt und starre auf die immer noch leere Eingabemaske. Tausend Gedanken im Kopf. Nicht die Hälfte davon gehört hier her. Dennoch sind da genug, die ich nicht unterschlagen will. Es gehört nur sortiert...

Eine Woche Abstand habe ich nun. Vor genau einer Woche habe ich mich in einem gedanklichen Tunnel befunden. Nur noch funktionierend und 500 km von zu Hause entfernt an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Alles, was vor Ort zu regeln war, war geregelt. Müde, ausgebrannt und ohne jedes Zeitgefühl wollte ich einfach nur noch zu meiner Familie, Mann und Kinder in die Arme schließen und in meine Kirche gehen... Die vorhergehenden 48 Stunden waren für mich die härtesten, die ich je erlebt habe. Und ja, ich wusste, dass der Tag unweigerlich kommen musste. Aber nein, ich hatte nicht erwartet, dass es mich so trifft...

Eine ganze lange, gefühlt unendliche Nacht saß ich mit meinen drei Brüdern am Sterbebett unserer Mutter. Dieses Krankenzimmer voller intensivmedizinischer piepsender Geräte und Angst wurde zum Ort, an dem unsere Familie neu zusammengefügt wurde. Unser Abstand vorher war sehr groß. Nicht nur örtlich und altersmäßig. Auch emotional. Zwischen uns lagen Welten. Wer mich kennt, weiß, dass das Verhältnis zu meiner Mutter belastet war. Wer mich besser kennt, weiß warum. Nur wer mich sehr gut kennt, kennt auch die Gründe, warum es quasi zerstört war. Und keiner dieser Gründe ist nun noch stark genug, um zu verhindern, dass ich mir doch Vorwürfe mache. Ich weiß, dass ich das nicht soll. Ich weiß, dass ich das nicht muss. Ich weiß auch, dass das nichts ändert und das meine Gründe ihre Berechtigung hatten. Aber ich kann es dennoch nicht verhindern... 



Neben einigen Dingen, die ich aus organisatorischen Gründen mitnehmen musste, ist dieses Schiff das einzige Erinnerungsstück, das ich an mich genommen habe. Es gibt noch ein weiteres Erinnerungsstück, aber das wollte ich meinem jüngsten Bruder, der vorerst noch ein paar Tage in dieser Wohnung leben muss, noch nicht von der Wand nehmen. Dieses Schiff muss irgendwann in den 60er Jahren entstanden sein. Mein Vater hat es geschnitzt. Er ist gestorben, als ich 5 Jahre alt war. Meine Mutter hat diese beiden Stücke gehütet wie einen Schatz. Ich werde es überarbeiten müssen, vom Staub und Nikotingeruch befreien müssen, aber es wird hier einen Platz finden. Gleichzeitig steht es sinnbildlich für den letzten Weg meiner Mutter. Sie wird ihre letzte Ruhe in der Ostsee finden.

Und erst jetzt, während ich das schreibe, wird mir bewusst, dass sie in ihrem ganzen Leben niemals das Meer gesehen hat... 

Meine Mutter wurde nur 58 Jahre alt, aber sie hat nun den Frieden, der ihr in ihrem ganzen Leben verwehrt geblieben ist. Und ich bin froh, dass ich das auch glauben kann. Es trägt mich weiter...

FacettenReich 10.10.2015, 13.18

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von isa

Frieden finden, ja, das brauchen alle. Die die noch leben und die die gegangen sind. Schön, dass dich der Glaube daran weiter trägt. Je älter man wird je mehr denkt man wohl über die toten Eltern und deren Leben nach, egal wie man zu ihnen stand, egal was früher war. Der Tod meiner Mutter hat mich auch überraschend sehr getroffen, obwohl ich so gut wie keinen Kontakt mehr hatte. Aber erst 3 Tage nach der Todesnachricht. Was mich noch einmal neu auf die Eltern schauen ließ war das Buch von Sabine Bode: "Die vergessene Generation" Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. Sie beschreibt wie traumatische Erfahrungen von einer Generation auf die nächste weitergegeben werden können. Man muss wohl immer Trauerarbeit leisten, wenn ein Elternteil stirbt, unabhängig davon wie die Beziehung war. Das braucht Zeit. Ich wünsche dir, dass dir diese Auseinandersetzung mit der Zeit gut gelingt. Mein Beileid, nachträglich! Und alles Gute.

vom 11.10.2015, 23.04
Antwort von FacettenReich:

Herzlichen Dank, liebe Isa. Ja, angeblich soll Zeit ja helfen... Das Buch (oder evtl. ein Ähnliches - ich muss nochmal genau nachfragen) habe ich dieser Tage schon mal empfohlen bekommen. Zwar nicht für mich, aber evtl. ließen sich damit auch meine Ã¤lteren familiären Beziehungen besser verstehen... 

Liebe Grüße und auch für dich alles Gute! Sandra

3. von Edith T.

Liebe Sandra,
dass du bei deiner Mutter warst bist, als sie starb, wird sie gespürt haben - und dass an ihrem Sterbebett die Familie wieder zueinander gefunden hat, empfinde ich als eine gute Fügung.

Ich wünsche Dir, dass du einen friedvollen Abschluss finden kannst.
Fühl dich herzlich umarmt von mir!


vom 11.10.2015, 18.57
Antwort von FacettenReich:

Danke, liebe Edith... Liebe Grüße, Sandra
2. von Susi

Liebe Sandra.
Ich kann Deine Gefühle nachvollziehen. Ich habe vor fast zwei Wochen meinen Mann verloren. Es ist ein Loch da und doch weiß ich, dass es gut so war. Mein Mann wurde übrigens nur 62.
Und ich kann Dich trösten. Der Schmerz lässt wirklich nach.

Susi

vom 10.10.2015, 18.27
Antwort von FacettenReich:

Herzliches Beileid auch von mir für dich. Das tut mir leid... Und danke...

Liebe Grüße
Sandra

1. von Rita dieSpätzin

Mein aufrichtiges Beileid.
Ich halte meine Geschwister auf Abstand. Neid kann ich nicht gebrauchen. Per Zufall traf ich meinen Bruder im Bundeswehrkrankenhaus als ich meinen Herzschlag-Beschleuniger besuchte. Und nein, ich möchte den Kontakt nicht aufleben lassen, da ist zuviel passiert.
Ich versteh Dich.
Umarmung für Dich und Grüßle

vom 10.10.2015, 17.20
Antwort von FacettenReich:

Ich bin meinen Geschwistern nun näher als je zuvor. Und das ist gut so... Dankeschön...

Liebe Grüße
Sandra